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8. Mai 1942
May 8, 1942
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USA 1941 - 2001

 

Thomas Friedman und die Einbildungskraft

von David Hartstein

 Thomas L. Friedman, Autor des schwärmerischsten Buches über den Globalismus, das dem Verfasser dieser Zeilen zu Augen gekommen ist (The Lexus and the Olive Tree: Understanding Globalization), ist eine Art Allzweckreserve der Harlem Globetrotters. An zum Besuch von Staatspersonen geflogenen Meilen (bei ihm mit Vielfliegerbonus) wurde er in den neunziger Jahren vermutlich nur von Bill Clinton übertroffen. Jener wiederum erklärte in einem Abschiedsgespräch über Friedman:

I think just in terms of columnists I think Tom Friedman is the best foreign policy writer we have today, by a long stretch. I think he understands the world we`re living in and the one toward which we`re moving. Therefore, whether he`s criticizing me or analyzing an issue or whatever he`s doing, he`s trying to do it from a completely honest point of view of trying to say, here`s where the world is, here`s where we`re going.

 CNN kann sich im globalistischen Wettstreit mit diesem allgegenwärtigen „foreign policy writer“ immer nur als auf den Igel zuhechelnder Hase vorkommen, obwohl der Geschwindigkeitsunterschied zwischen elektromagnetischen Signalen über Satellit und der vergleichsweise behäbigen Reisegeschwindigkeit von Flugzeugen doch beträchtlich ist.

 Eigentlich müßte Friedman auf seinen häufigen Flugreisen doch genügend Zeit zum Lesen haben, sogar zum gründlichen Lesen. Für diese freie Lektürezeit kann ihm nun ein Buch empfohlen werden, in dem die Ereignisse vor und während des 11. September ein wenig gründlicher verarbeitet sind, als sie Friedman in seinem Gedächtnis und seiner Einbildung gegenwärtig zu sein scheinen.

 In der New York Times schreibt Friedman am Pfingstsonntag, wenig inspiriert zwar, aber doch mit einem spontanen Bezug zur Aufregung in Washington:

The failure to prevent Sept. 11 was not a failure of intelligence or coordination. It was a failure of imagination. Even if all the raw intelligence signals had been shared among the F.B.I., the C.I.A. and the White House, I‘m convinced that there was no one there who would have put them all together, who would have imagined evil on the scale Osama bin Laden did.

 Diese Feststellung entbehrt leider sowohl der Vorstellungs- und Einbildungskraft noch ist sie im Einklang mit dem Gesamtbild, das die entlegenen und auf der Hand liegenden Tatsachen vor und während des 11. September darbieten. Was seiner Einbildungskraft nicht in den Sinn kommt, ist zu fragen, wie sich denn soviel Versäumnis und Versagen erklären lassen, wie sie in Nafeez Mosaddeq Ahmeds Untersuchungsbericht „War on Freedom“ dokumentiert sind? Kapitel 4 und 5 des gewichtigen Dossiers zeigen und belegen, daß sowohl die „intelligence“ des Terrorismus-Warnsystems als auch die Luftverteidigung sich am 11.09. als außer Kraft gesetzt erwiesen. Das konnte aber schon an jenem Tage jeder Beobachter oder Betroffene ob in den USA oder anderswo auf dem Globus in Echtzeit spüren und wahrnehmen, der nur ein wenig über Struktur und Funktion des leistungsfähigsten Luftverteidigungssystems der Welt wußte oder als verläßlich vorhanden unterstellte. Schließlich ist dieses System von Curtis LeMay, dem Begründer des Strategic Air Command entworfen worden, und mit guten Gründen. Im Frühstadium des kalten Krieges hatte er die Grundsätze seines militärischen Denkens so zusammengefaßt:

„I remembered a couple of guys called Kimmel and Short – at Pearl Harbor. So I got busy and did what I could.“ (Kimmel und Short waren die Kommandeure, die wegen „Vernachlässigung ihrer Pflichten“ für diesen beinahe vernichtenden Angriff auf die Pazifikflotte verantwortlich gemacht wurden.)

 Die Gründung des Nationalen Sicherheitsstaates, der die amerikanische Republik seit den vierziger Jahren zunehmend überwuchern sollte, wird in einer neueren Untersuchung über die amerikanische Strategie im 21. Jahrhundert folgendermaßen erklärt:

„Was LeMay unternehmen konnte, war ein System zu schaffen, in dem Technologie den common sense künftiger Leutnant Tylers beherrschen würde. Die Ära der permanenten militärischen Bereitschaft, der unaufhörlichen, ununterbrochenen Überwachung und Abtastung des Himmels nach dem Zweiten Weltkrieg war ein Resultat von Pearl Harbor. Die amerikanische Verteidigungspolitik wurde zu vierundzwanzig Stunden anhaltender Wachsamkeit und einer Bereitschaft rund um die Uhr, zum unablässigem Gewahrsein, daß in jedem Moment die Katastrophe hereinbrechen könnte.“ (So George und Meredith Friedman in „The Future of War“ , New York 1996)

 Armer Friedman. Wenn diese Beschreibungen, immerhin von kompetenten Militärs oder Militärschriftstellern, zutreffen, was ist dann am 11. September geschehen? Grausiger noch: Was ist unterlassen worden - entgegen den zivilen und militärischen Dienstvorschriften, möglicherweise gegen bestehende oder ergangene Befehle? Kann sich Friedman dieses Übel vorstellen, es er-denken?

Imagining evil of this magnitude simply does not come naturally to the American character, which is why, even after we are repeatedly confronted with it, we keep reverting to our natural, naïvely optimistic selves. Because our open society is so much based on trust, and that trust is so hard-wired into the American character and citizenry, we can‘t get rid of it — even when we so obviously should.

 So ist es. Der „nation under God“ sei Dank dafür. Dennoch würde es, sollte auch nur eine Spur des Zweifels zu der Erkenntnis führen, daß Versäumnisse und Versagen am 11. September nicht auf amerikanische Sorglosigkeit und Schlamperei, sondern auf Intention, auf Verhinderung von Maßnahmen zurückzuführen sein müssen, sich um den übelsten Bruch der amerikanischen Verfassung seit dem Angriff der Konföderierten auf Fort Sumter handeln. Bei John William Draper kann Friedman die historische Szenerie nachlesen. Und in der Präambel zur amerikanischen Verfassung steht, um was dieses „Versagen der Vorstellungskraft“ das amerikanische Volk gebracht hat:

Wir, das Volk der Vereinigten Staaten, um eine vollkommenere Union zu bilden, um Gerechtigkeit zu begründen, um die Ruhe im Innern zu sichern, um für die gemeinsame Verteidigung Vorkehrung zu treffen, um das Gemeinwohl zu befördern und uns und unseren Nachkommen die Segnungen der Freiheit zu sichern, erlassen und errichten diese Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika.

 Bevor Friedman erneut in aller Öffentlichkeit aufzählt, wofür er dem Präsidenten die Schuld gibt und wofür nicht, sollte er lieber zweimal nachdenken, ob seine Einbildungskraft überhaupt ausreicht, den 11. September zu verstehen. Andere zerbrechen sich da mehr den Kopf – siehe das Buch „War on Freedom“.