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Briefe vom IWF

 

Georg P. Christian: Heckenschützen mit Zauberkugeln

Der IWF warnt:

Glaubwürdigkeit des Euro gefährdet

LONDON, 11. Februar (vwd). Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat die Finanzminister der EU davor gewarnt, daß die Glaubwürdigkeit des Euro auf dem Spiel stehe, sollten Deutschland und Portugal im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes nicht für ihre hohen Budhetdefizite verwarnt werden. Ein Brief mit entsprechendem Inhalt sei am vergangenen Freitag beim spanischen Finanzminister Rato eingegangen, berichtete »Dow Jones Newswire« am Montag. Spanien hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne. An diesem Dienstag entscheiden die fünfzehn EU-Finanzminister über die von der Kommission empfohlene Frühwarnung. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Dienstag, 12. Februar 2002)

 Die Frankfurter Allgemeine hat ihre Leser (darunter sicherlich auch die Presseschnipsler des Bundeskanzleramtes) am 12. Februar mit einer Meldung auf der ersten Seite überrumpelt, die in Herkunft und Inhalt sicherlich eine Neuheit bedeutet. Die Zeitung meldet mit der Quelle vwd, daß Dow Jones Newswire gemeldet habe, daß der IWF einen Brief an den spanischen Finanzminister geschrieben habe, in dem »der IWF« davor warnt, an die Adresse der deutschen Bundesregierung keine Frühwarnung (alias: blauen Brief) auszusprechen.

 Da sich die Abfolge dieser Heckenschützenmeldungen am Rosenmontag und Fastnachtsdienstag zugetragen haben muß, sind Helau und Alaaf für den Lauf dieser Zauberkugel redlich verdient.

 Man könnte diesen Vorfall nun damit abtun festzustellen, daß Bundeskanzler Schröder mit seiner argwöhnischen Vermutung richtig lag, daß sich hinter der Absicht der Europäischen Kommission, der Bundesregierung mit Zustimmung des Ministerrates einen blauen Brief in die klammen Hände zu drücken, andere als wirtschaftliche Gründe verbargen; klar, diese anderen Gründe haben unbedingt mit dem Höhepunkt der Kampagne der fünften Jahreszeit zu tun. Mit dem Brief des IWF an die EU-Ratspräsidentschaft hat die närrische Zeit ganz ohne Zweifel ihren Höhepunkt erreichen müssen. Ein so erprobter Kämpfer wider den tierischen Ernst wie Theo Waigel wollte dazu obendrein in aller Öffentlichkeit noch weinen. Noch vor dem Aschermittwoch. Damit wäre die Komik allerdings auf die Spitze getrieben worden.

 Man kann die dreiste Anmaßung des IWF oder genauer: eines ungenannten Pressebeamten, der diese Meldung im Namen des IWF (und im Auftrag eines erlesenen Kreises von Bürokraten dort) lancierte, als Karnevalsscherz nehmen. Man kann sie aber auch als das erklären, was sie ist und was sie mutmaßlich bezwecken soll.

 Zunächst einmal betätigt sich hier die Solidarität von supranationalen Behörden untereinander bei der Erzwingung dessen, was sie vor über 10 Jahren als »Washington Consensus« stipuliert haben - selbst gegen gewählte Repräsentanten und Regierungen. Der IWF mahnt aber (jedenfalls wird er in der FAZ so wiedergegeben) die »Erhaltung der Glaubwürdigkeit des Euro« an, macht sich also zum Richter über die vermutete Werthaltigkeit einer Währung (gegenüber den »Märkten«), von der die europäischen Liebhaber dieses gemeinsamen Geldes noch vor Wochen wähnten, daß es ihre gemeinschaftlich mit Souveränitätsverzichten erkaufte und politisch gestützte Währung sei. In der wohlwollendsten Auslegung unterstützt der IWF hier die Kommission in den Schlüssen, zu denen sie in der mühevollen Erfüllung ihres Auftrages, die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu überwachen, gelangt ist. Doch dann wäre ein Brief an die Kommission, auch wenn der Inhalt an die Öffentlichkeit gelangt, noch bevor der Adressat den Brief öffnen konnte, der annähernd angemessene Weg.

 Der Brief geht aber an den feder- und geschäftsführenden Ratspräsidenten der Finanzminister, also an den primus inter pares der Vertreter der Souveräne. Und wenn uns nicht alles täuscht, handelt es sich dann um eine Einmischung in die Beratungen eines politischen Gremiums. Wobei die Wahl dieses politischen Adressaten bezeugt, daß sich die Urheber dieses Projektilumlaufs im fernen Washington im institutionellen Dickicht Brüssels und Europas so gut auskennen müssen, daß man sie fast als europäische Intimkenner der Laufbahn einer Zauberkugel im europäischen Gremienunwesen identifizieren muß.
Da sich auf den Seiten des IWF im Internet beispielsweise alle möglichen Meldungen finden, jedoch keine vom Fond autorisierte, die auf den Brief an den spanischen Finanzminister hinweist, kann es sich also nicht um eine Einmischung handeln, für die der geschäftsführende Direktor oder seine Stellvertreterin die Verantwortung tragen (wollen), sondern um den Schnellschuß eines Subalternen in einer Einrichtung, deren führende Mitglieder (neben den Vereinigten Staaten und Japan) und Weisunggeber eben die Souveräne sind, in deren Beschlußfassung der Brief des IWF hineinzufunken versucht hat.

 Eine derartige Dreistigkeit und Anmaßung sollten sich die europäischen Regierungen gut merken und überlegen, was ein solcher Präzedenzfall zu bedeuten hat.

 Vor allem sollte aber die deutsche Bundesregierung, nachdem auch die eine oder andere deutsche Landesbank, von der schadenfrohen Berichterstattung in großen Teilen der europäischen Presse einmal abgesehen, in das Geheul der Empörung darüber, daß die Bundesregierung über den angedrohten »blauen Brief« nicht amüsiert war, eingestimmt hat, drei Jahre zurückschauen und sich den Fall eines gewissen Oskar Lafontaine noch einmal genauer ansehen.

 Irgendwann, das dürfte ja wohl inzwischen jeder zur Kenntnis genommen haben, hatte auch gegen ihn als Finanzminister eine Kampagne begonnen, an der sich nahezu alle Instanzen und ideologischen Verbindungen der Finanzwelt dann beteiligten. Das war vor drei Jahren alles andere als eine Karnevalskampagne. Und wenn sich schon, von welcher Ebene aus auch immer, der IWF in dreister Anmaßung von Befugnissen, die nirgendwo in seinem Statut vorgesehen sind, in innereuropäische Belange einschaltet und einmischt, kann man ahnen, daß eine solche Neuauflage einer Kampagne gegen Finanzminister und Bundeskanzler nicht lange auf sich warten lassen wird.

  Daß es sich hier um die Einmischung einer Instanz handelt, die mittlerweile alle Gelassenheit verloren hat, ihre Fassung jederzeit zu verlieren droht und dazu auch Grund genug hat, ist der Tatbestand, den man aus einem anderen Gesichtswinkel wahrnehmen und beobachten muß, wenn man die Ratlosigkeit des Währungsfonds nach seiner tatkräftigen Mithilfe bei der Ruinierung Argentiniens heute in Augenschein nimmt. Darauf können die Anmerkungen Florian Raffers zu den Äußerungen eines IWF-Vertreters (des Director of External Relations Thomas Dawson) zur Frage der Schuldenrestrukturierung ein helles Schlaglicht werfen.